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Steuerfrei

Die Fahrt von Arrecife nach Mindelo ist am zweiten Tag von wenig Wind und gemütlichem Wetter geprägt. Dennoch sind die Wellen, die von Achtern anrollen auch mit 1,5m Höhe um einiges imposanter als die uns vertraute Ostseekabbelei. Es geht in die zweite Nacht und wir machen 5 Seemeilen pro Stunde Strecke nach Südwest. Kurs etwa 220°. Wegen des geringen Winds lassen wir den Motor mithelfen unsere Geschwindigkeit auf mind 5kn zu halten, um nicht den Anschluss an unser halbwegs günstiges Wetterfenster zu verlieren. Vor der Dämmerung ab ca. 1830h UTC bereiten wir ein warmes Abendessen vor. Dann geht es ab 2100h in den Rhythmus der Wechselwachen. Von 21-24h schläft Volker. Dann übernimmt er die “Hundewache” von 0000h bis 0300h. Hier fällt es normalerweise am schwersten wach zu bleiben, während die Wachen mehr am Rand der Nacht eher als Verlängerung des alten Tags oder als besonders frühes Aufstehen am neuen Tag empfunden werden kann. Diesen Rhythmus hatten wir in der ersten Nacht auch gewählt. 


Am Samstag, 25.1.2025 um 0300h übernehme ich die nächste Wache. 

Ich notiere unseren Standort N26° 00,9’   W016° 04,8’ , Log 3177, Kurs 225° und 5kn Geschwindigkeit im Logbuch. 

Um 03 15h gibt es ein knarzendes, kratzendes Geräusch aus dem Rumpfbereich. Dann läuft die MickMoon aus dem Ruder. Ich erkenne es an der Windanzeige im Cockpit, der Wind kommt statt von achtern mal von der Seite mal von vorn, dann wieder von achtern. Auf dem Wasser und an der Fahrtrichtung kann ich das aus dem Ruderlaufen nicht erkennen, da es stockdunkel ist. Ich rufe Volker aus der Koje, er ist aber schon da, da er zu mir unterwegs war, um zu erfragen, was das für ein Geräusch war. Der Autopilot muss ausgeschaltet werden, um mit der Hand gesteuert, wieder auf Kurs gehen zu können. Aber jeder Versuch das Boot zu steuern schlägt fehl. Es reagiert nicht auf das Steuerrad. Wir drehen uns im Wind mit ausgestellten Segeln. Natürlich haben wir den Grossbaum, der das Großsegel weit nach Backbord ausstellt mit einer anständigen Talje, dem sogenannten Bullenstander gesichert. Zum Glück, sonst würde der Baum wie ein Geschoss über unseren Köpfen von links nach rechts und zurück schlagen. Das ist nicht nur für die Mannschaft sondern auch für das Boot gefährlich, da viel zerstört werden kann. 

Die Genua ist halb aufgerollt und wird vom Amel-typischen Spinnakerbaum an Steuerbord ausgebaumt. Zum Glück ist auch diese, weit über die Seite ausladende Konstruktion sicher mit 4 Leinen fixiert, und hält auch die back stehende Genua.


“Die Segel müssen rein”. Das ist die erste Sofortmassnahme.  In einem Moment bei dem das Vorsegel weniger Druck hat, betätigen wir die elektrische Rollanlage und recht schnell ist die Genua aus dem Wind weggerollt. Das Grosssegel kann ebenso elektrisch aufgerollt werden. Entgegen einschlägiger Seemannschaft tun wir dies bei vollem Winddruck in das Tuch. Da der Wind aber nicht ganz so stark ist, klappt es. 

Durchatmen, Sichten, Beruhigen. Was ist passiert? Das Boot ist immer noch steuerlos und der Autopilot reagiert überhaupt nicht. 

Sind wir in irgendetwas hineingefahren, ist das Ruder noch dran? Ein driftender Container dicht unter der Wasserlinie? Volker leuchte mit einer Lampe das Wasser im Heck ab, aber es ist keine Boje, Container oder Fischernetz zu sehen. Nichts. Der Motor läuft und wir driften ohne Kurs. Als nächstes der Blick in die Bilge, der Sumpf an der tiefsten Stelle des Boots: haben wir einen Wassereinbruch? Eine Beschädigung des Rumpfs? Nein, es läuft kein Wasser unerlaubt ins Boot. Check. 


Mittlerweile werden wir oft quer von den Wellen geschüttelt. Aber es ist nicht gefährlich, weil die Wellen lang sind und wir ab und zu wieder geradeausfahren, wie auch immer. Jetzt die Kontrolle des Ruderquadranten, der Hebel im Boot, unmittelbar über dem Ruderblatt an dem die Steuerung angreift und das Ruderblatt drehen kann.  Hier setzt auch der kleine kräftige Motor des Autopiloten an, um das Ruderblatt direkt zu steuern. Kein Wassereinbruch hier. Check. 

Aber die Verbindungsstange zwischen dem Autopiloten und dem Ruderquadranten ist abgerissen und hängt verbogen am Autopilotenantrieb. Die Schraube, die den Arm am Ruderquadranten befestigt ist durchgebrochen. Check. 


Das Boot müsste sich aber dennoch mit dem Steuerrad manövrieren lassen, doch die Reaktion des Ruders auf das Steuerrad kommt nicht. Wir überlegen, ob sich etwas am Ruderblatt unterwasser verklemmt haben kann. Ob vielleicht die Fläche des Ruderblatts durch eine Kollision abgerissen oder sonst wie verkleinert wurde. Das müssen wir prüfen, können das aber im Dunkeln nicht, weil wir weder unterwasser, noch überwasser etwas sehen können.

Noch vier Stunden bis zum Tageslicht, solange müssen wir warten. 

Wir setzen einen Securitee Funkruf auf Kanal 16 ab, um alle umliegenden Schiffe zu warnen, dass wir steuerlos driften. “Securitee, Securitee, Securitee. All ships, all ships, all ships. This is SY MickMoon, SY MickMoon. Our Position ist N26° 00,9’  W016° 04,8’. We have a broken rudder and are not able to stay on course. Please keep clear of us”. Check.


Nach und nach merken wir durch Probieren, dass sich bei 1-2 Knoten das Schiff in Abweichungswinkeln von mehr als 100° und heftigen Radbewegungen halbwegs in eine Richtung bringen lässt. Diese Taktik verfeinern wir, während wir auf das Tageslicht warten und schlingern in der groben Richtung Nordwest. Bei hohen Wellen machen wir 360° Kreise, kommen aber mit minimaler Ruderwirkung wieder nach Nordwest. Die Aufzeichnung unseres Tracks zeigt die hilflosen, aber nicht ganz erfolglosen Versuche. 

Wir halten wieder inne und machen uns klar, unser Leben ist nicht bedroht, niemand ist in unmittelbarer Lebensgefahr, deshalb ist es auch kein Seenotfall. Erst müssen alle an Bord zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft sein. Zum Beispiel könnten wir mit einem Brett und einem Spinnakerbaum versuchen ein Notruder zu basteln. Gleich frage ich Volker, was er davon hält, die Mahagoni-Tischplatte des Salontischs zu spendieren. Bevor wir aber die Säge am edelen Interieur ansetzen, wollen wir uns die Situation Unterwasser ansehen. Volker hat eine Tauchausrüstung dabei und beginnt den Ausstieg hier auf dem Atlantik schon zu planen. Ich kann meine Erfahrung von Unterwasseraufnahmen mit der Actioncam am Bootshaken einbringen und wir beschließen, dies als erstes zu versuchen. Aber noch ist es dunkel.

Da wir Starlink an Bord haben und mein Telefonprovider Gespräche über WLAN zulässt erreiche ich mit meinem Handy über 124 124, Bremen Rescue, die Leitstelle der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zum Ortstarif. Um 0550h informiere ich die Leitstelle über unsere Situation und beantworte Fragen nach der Anzahl der Personen an Bord, dem Aussehen der Yacht (Rumpffarbe, Länge, Gewicht, Anzahl Masten) und der augenblicklichen Position. Da wir zur Zeit konstant mit 2 Knoten nach Nordwest dümpeln und keine unmittelbare Lebensgefahr besteht, fordern wir auch noch keine Hilfe an. Der nette Herr wird aber die “spanischen Kollegen” verständigen und unsere Situation und unsere Daten weitergeben. Und er wird uns im Auge behalten. Nur wie? Mit 2 Knoten zum 110sm entfernten GranCanaria wird mehr als zwei Tage dauern, 50-60 Stunden. Auf jeden Fall wissen die jetzt Bescheid und dass jemand Kenntnis von der etwas prekären Situation hat, ist auch schon beruhigend. Nach 10 Minuten klingelt eine spanische Telefonnummer auf meinem Handy und eine perfekt englischsprechende Dame erkundigt sich nach uns. Es ist das MRCC Las Palmas. Sehr beruhigend. Auch hier teilen wir den Plan mit, dass wir versuchen nach Gran Canaria zu kommen an die Südspitze. Das ist auch in Bezug von Windschatten und Wellenschatten gut, da in zwei Tagen das gute Wetterfenster sich schließen wird und wir mit hohen Wellen und starkem Wind aus NordOst rechnen müssen.


Wir befestigen die Action Cam an einem kleinen Stativ und tappen dies a den Bootshaken. Mit Rettungswesen und  eingpicktem Sicherheitsgurt kniee ich auf der Badeplattform am Heck und versuche die Linse auf das Ruder des Boots zu richten. So aus dem Gefühl heraus. Weil die WIFI Verbindung zum Monitor auf dem Handy Unterwasser nicht funktioniert. Wir müssen quasi blind Aufnahmen machen und dann auf das Handy überspielen um dann zu sehen, was wir denn aufgenommen haben. Aber es klappt beim zweiten Versuch sehr gut und wir können erkennen, dass es keine Schäden am Ruder gibt. Auch keine Kratzer oder Schleifspuren von einem Unknown Floating Object (UFO). Wir haben auch keine Leine oder Fischernetz gefangen, dass das Ruder verklemmen könnte. Alles fein, alles palletti. Check.


Das bedeutet aber, dass der Fehler zwischen Steuerrad und Ruder liegen muss. Dieser Weg ist defekt. Irgendwo. Da aber das Ruder in Ordnung ist und die Ruderwelle sauber aus dem Ruderkoker schaut, ist klar, dass wir mit der Notpinne, die direkt auf die Ruderwelle montiert werden kann, uns besser auf Kurshalten können. 

Also muss die Notpinne aus den Tiefen der Backskiste im Cockpit gebuddelt werden. Dazu muss die Backskiste fast vollständig ausgeräumt werden, inkl. zusammengerolltem Dinghi.

Endlich kommen zwei 10 kiloschwere Eisenstangen zum Vorschein. Ein Vierkantrohr, das durch das Dach der Achterkajüte ca. 1,20 m durch die Kajüte auf die Ruderwelle gesteckt wird. Dazu muss die Koje inkl. Matratze und Bodenbrett vollständig abgebaut werden. Oben über Deck wird ein Rohr als Pinne auf das Vierkantrohr geschraubt. Die Pinne reicht bis zum Besanmast, so dass wir aus dem Cockpit steuern könnten. 

Zunächst aber setzen wir uns auf das Kajütdach und steuern von da. Es ist kraft aufwändig, das Boot auf Kurs zu halten, aber es klappt gut und wir können unsere Geschwindigkeit auf 5 kn steigern. Und geradeaus. Straight. Und wir können unseren Kurs auf Gran Canaria, 110sm entfernt absetzen. Das sind dann nur noch 25h bis wir zurück a Land sein können. Puh! Super. Das klappt. Gimme five!




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Kommentare: 2
  • #1

    Christel (Mittwoch, 29 Januar 2025 21:02)

    Danke, dass ihr uns mit auf Reise nehmt. Muss aber nicht immer so spannend bleiben. Da stockt der Atem ja schon beim Lesen. Ich hoffe, das Ruderproblem ist bald lösbar und die Wettergötter schicken euch ein neues schönes Fenster. Toi toi toi.

  • #2

    Jens (Freitag, 07 Februar 2025 00:59)

    Danke für das Mitlesen, Christel